Das Publikum in Venedig – und von dort kamen ja immer die neuesten Moden – hatte schon längst Abschied genommen von der eleganten Formkunst Scarlattis und war zu dieser Zeit ganz vernarrt in die empfindsame Musik, mit der später Benedetto Marcello und seine Freunde die Herzen rühren würden: Melodien bestimmten den süßen Klang, leicht sollten sie sein, sangbar und dem Volkslied verwandt, versehen allein mit einer zarten instrumentalen Begleitung. Dieses wurde den mitwirkenden Kardinälen und ihren Gästen – darunter hochstehende Damen – sowie dem Papst am 24. Dezember in den Stunden zwischen der Vesper in der Cappella Sistina und der Matutin in Santa Maria Maggiore serviert: Achtzehn Personen hätten das fürstliche Gastmahl besucht, das mit eigens aus Neapel herbeigebrachten frischen reifen Früchten bestückt war. In diesem Jahr jedenfalls wurde Scarlatti ein Libretto des Conte Massimo Scarabelli Mirandolano vorgelegt, der mit dem Schäfernamen Polieno ebenfalls Mitglied der Ottobonischen Arcadia war, und es behandelte die Zusammenkunft des Erzengels Gabriel mit den Allegorien von Frieden und Glaube, die mitsamt einem Engelschor die Geburt des Herrn feierten.
Author: Eike Rathgeber
Published at: 2025-12-20 13:54:54
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