Sinn für Obsessionen: Art brut aus der Sammlung Decharme im Grand Palais

Sinn für Obsessionen: Art brut aus der Sammlung Decharme im Grand Palais


„Psychopathologische Kunst“ war nicht gemeint, es ging für Dubuffet vielmehr um eine unabhängig von diesen ersten Anstößen vorgetragene Provokation der etablierten Kunstwelt als Ganzes, um die avantgardistische Attacke auf eine mit Verve von ihm heruntergemachte „kulturelle“ Kunst der Professionellen – im Namen von Werken, die sich deren Institutionen, Prozeduren und Ausbildungen nicht verdankten, hervorgebracht von Menschen, die die etablierte Kunst möglichst gar nicht kannten, deshalb an deren Konventionen vorbei, dabei von unübersehbarer Originalität und Spontaneität. Dubuffet nutzte seinen eigenen Erfolg in der Kunstwelt – in der er von den späten Fünfzigerjahren an dank prominenter amerikanischer Sammler und Museen zügig in die erste Reihe internationaler Größen aufstieg – dazu, seine Rolle als unangefochtener Impresario der Art brut zu erfüllen. Er selbst ging trotz (und wegen) aller wohlkalkulierter antikultureller Tiraden entschieden den Weg des Marktes und der Museen, seine malerischen „Rohheiten“ waren schließlich im Unterschied zu jenen der von ihm in Stellung gebrachten Art brut kunstvoll bewusst angebracht (so wie es auf dem Gebiet der Literatur von ihm bewunderte Autoren wie Céline oder Michaux demonstrierten).

Author: Helmut Mayer


Published at: 2025-07-16 16:19:36

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