Panorama der Kunst Kolumbiens: Ton, Steine, Fäden

Panorama der Kunst Kolumbiens: Ton, Steine, Fäden


Von der wohl wichtigsten kolumbianischen Künstlerin, der 1958 in Bogotá geborenen Doris Salcedo, stammt eines der eindrücklichsten Memoriale weltweit, das sie innerhalb eines zerstörten barocken Lehmgebäudes des Altstadtviertels La Candelaria installiert hat: Es heißt „Fragmentos“, auf Deutsch „Bruchstücke“, und trägt schon im ­bedeutungsschwangeren Titel eine dreifache Auf­ladung: Wie das ausgebrannte Metallgerippe der „Friedensdenkmal“-Kuppel im japanischen Hiroshima symbolisieren die wie hohle Zähne stehen gebliebenen Lehmmauern des alten Herrenhauses, dass Krieg nur Tod und Ruinen zurücklässt, zugleich aber auch die Hoffnung, der brüchige Frieden von 2016 zwischen Staat und linken FARC-Rebellen nach jahrzehntelangen blutigen Kämpfen möge nicht zu Bruch und die Erinnerung an den steinigen Weg zu diesem nicht verloren gehen. Dies gilt auch für ein weiteres Paradoxon – die in Kolumbien menschheitsalte Sprache der Tücher, Stoffe und textilen Knoten auf der modernsten künstlerischen Plattform, die das Land zu bieten hat: ihre Biennale BOG 25 unter dem Oberthema „Essays on Happiness“ und die generalüberholte Messe ARTBO, die deren neuer Direktor Jaime Martínez durch eine bestrickende Mischung aus handwerklicher Solidität, intimster Materialkenntnis und gleichzeitig breitem Wissen um die akuten Fragen zeitgenössischen Kunstschaffens für die Zukunft als das führende Kunst-Epizen­trum ­Lateinamerikas aufstellen will. Hier finden sich neben den keramischen Meisterwerken – ein archaisches Mischwesen aus rotem Ton etwa sieht tatsächlich aus wie der liebenswürdig-kratzbürstige Alien aus dem Film „Lilo & Stitch“ – und den nicht zuletzt von Alexander von Humboldt (der in Kolumbien anders als Christoph Kolumbus, der das nach ihm ­benannte Land nie betrat, immer noch als nicht kolonialer, weil altruistisch forschender „zweiter Entdecker Amerikas“ verehrt wird) gefundenen Smaragd- und Goldvorkommen (das Museo del Oro Bogotás ist dagegen fast obszön in seiner eldoradohaften Anhäufung von tonnenweise Gold) die eigentlichen Schätze des Landes: die textilen Künste.

Author: Stefan Trinks


Published at: 2025-12-13 17:29:13

Still want to read the full version? Full article