Neuanfang nach dem Krieg: Die Kunst ist wieder frei

Neuanfang nach dem Krieg: Die Kunst ist wieder frei


Wie schwer es die Veranstalter moderner Kunstausstellungen hatten, bei dem entwöhnten Publikum an das Verständnis für die Moderne anzuknüpfen, ist mehrfach belegt: „Wir haben bei den zahl­reichen Führungen bemerkt, dass die un­gewohnten Bilder den Besuchern und namentlich den Jugendlichen Apperzep­tions­schwierigkeiten bereiteten, dass an letzteren auch ein gewisser innerer Widerstand zu bemerken war“, bemerkte der Oldenburger Museumsdirektor Walter Müller-Wulckow, als in den Räumen des Kunstvereins die Ausstellung „Kunst der Gegenwart – aus privatem und öffentlichem Besitz“ gezeigt wurde. Dass es von den ersten Ausstellungen moderner Kunst im Jahr 1945 bis zum Siegeszug der Abstraktion ein weiter Weg war, belegen nicht nur die Kontroversen der folgenden Jahre um den „Verlust der Mitte“, „Das Menschenbild unserer Zeit“ oder die „Atomisierung der modernen Kunst“, sondern zeigt auch ein bitterer Kommentar Erich Kästners über die Schau „Modern Paintings/Maler der Gegenwart I“, die im Dezember 1945 im Augsburger Schäzler-Palais – weitgehend traditionelle – Gemälde zeitgenössischer süddeutscher Künstler präsentierte. Die Studenten spucken, wie sie es gelernt haben, auf alles, was sie nicht ver­stehen.“ Bevor im Nachkriegsdeutschland die ersten demokratischen Wahlen abgehalten wurden, hatten die Besucher der Ausstellung die Gelegenheit, auf ihren Stimmzetteln über die Kunstwerke ihrer Zeitgenossen zu richten, und Kästner, dem die Veranstalter Einblick in die Resultate gewährten, war entsetzt von der erschütternden Intoleranz.

Author: Rainer Stamm


Published at: 2025-05-27 20:03:22

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