„Eine Reise nach Nürnberg“: Reportage von Walther Karsch zum Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher

„Eine Reise nach Nürnberg“: Reportage von Walther Karsch zum Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher


Diese Erklärung ist ihnen nicht recht plausibel; sie ihnen plausibler zu machen, zum Beispiel durch den Hinweis auf die mangelnde politische Erziehung des deutschen Volkes, auf die fatale Neigung zu mystisch sein sollender Verschwommenheit des Denkens, zur Ueberheblichkeit anderen Menschen und Völkern gegenüber, durch den Hinweis auf die Theorie von der sogenannten Herrenrasse, auf die Unfähigkeit, im politischen Gegner nicht von vornherein einen Schweinehund zu sehen — zu diesen Versuchen reichen offenkundig die Sprachkenntnisse, auf die man sich manchmal so viel zu gute hält, nicht aus. In hundert Jahren mögen die Trümmer um den Dom und den Römerberg (vom Römer selbst steht noch die Fassade) Hochzeitsreisenden einer hoffentlich glücklicheren Zeit romantisch erscheinen — uns steigt die Wut ins Hirn, wir möchten den zwanzig Gestalten auf der Nürnberger Anklagebank und ihren Gefolgsleuten am liebsten an den Hals springen und ihn eigenhändig umdrehen, wenn wir nicht gesittete Demokraten wären, die gelernt haben, nicht Gleiches mit Gleichem zu vergelten, sondern erst zu prüfen, zu wägen und dann zu urteilen. Schirach fragt Göring , wer denn die Ermordung der Juden in den Gettos angeordnet habe, und als Göring entgegnet, Unschuldsengel der er ist: „Ich nehme an, Himmler“, läßt sich der Ex-Reichsstatthalter von Schirach, der sich einst am Westwall so tapfer in der Kampfpause des Winters 39/40 den Leutnantsrang und das E. K. I erfocht, in den Stuhl fallen und seufzt: „Schrecklich“.

Author: Der Tagesspiegel


Published at: 2025-11-19 16:34:05

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