Die Geste des Halsabschneidens, mit der die polnischen Bauern die Juden in den Waggons der Reichsbahn auf dem Weg in die Lager begrüßten, sind zum Bestandteil der kollektiven Erinnerung an den Holocaust geworden, und die halbstündige Szene in einem Friseursalon in Tel Aviv, in welcher der Treblinka-Überlebende Abraham Bomba berichtet, wie er Frauen und Kindern in der Gaskammer die Haare schnitt, bevor sich die Türen schlossen, gehört zu den Kinomomenten, die man nicht mehr vergisst. Aber das ändert nichts an der Wahrheit dessen, was man in „Shoah“ hört und sieht, denn nichts, was hier gesagt und gezeigt wird, ist fiktiv, selbst die mit versteckter Kamera gemachte Aufnahme nicht, in der ein ehemaliger SS-Mann das Lied singt, das die „Arbeitsjuden“ in Treblinka singen mussten, wenn sie die Toten aus den Gaskammern trugen. An einer der Hörstationen kann man verfolgen, wie er durch die Dauerausstellung in Auschwitz-Birkenau geht; sein Atem wird lauter, während er an Bergen von Brillen und Schuhcreme-Dosen vorbeigeht; dann sieht er die Koffer mit den Namensschildern und den Adressen der Opfer: „Das Alter der Kinder ... das ist entsetzlich.“ Der Anstrengung, diesem Entsetzen eine Form zu geben, hat er den Rest seines Lebens gewidmet.
Author: Andreas Kilb
Published at: 2025-12-01 15:31:57
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