Entschlossen schamfrei glaubt Kiyak, Thomas Mann, der sich zu unserer vielbeachteten Kolumnistin verhält »wie etwas Bedeutsames zu nichts« (Markus Erdmann), rehabilitieren zu müssen, weil er »zu einer neurotischen Witzfigur karikiert und degradiert« worden sei, als Klemmschwuchtel und Bürgersöhnchen nämlich, was aber, wie jeder weiß, der sein Weltwissen nicht aus Kolumnen von Mely Kiyak bezieht, dem Mannschen Nimbus nicht einmal in der halbdunklen Ecke aus Biopic und Pressvermischten etwas anhaben konnte und wiederum nur einer Pointe dient, deren sprachliche Ausgestaltung die Autorin auf der Höhe ihrer Hilflosigkeit zeigt: »Ja, es rührt mich, wenn ich die Fotos dieses steifen älteren Herrn sehe, der in seinen Routinen und Gepflogenheiten gefangen ist – und der doch, wenn es darauf ankam, dazu fähig war, mit penibel gestutztem Schnurrbärtchen und gespreiztem Finger an der mit Goldrand umfassten Teetasse, die Nazis gehörig in den Boden zu rammen.« So steht es da, und dass Kiyaks Kolumne bei Zeit online in allem Ernst »Kiyaks Deutschstunde« hieß, nehmen wir, mangels Alternative, hin. Der Satz machte seinen Autor nach dem Krieg nicht eben populärer, und Mann, der zunächst souffliert, ein »Verbrecherklüngel« habe ein Volk »verdorben und missbraucht«, lässt in einem letzten Beitrag vom November 1945 unter dem Eindruck der deutschen Emigrantenschelte nicht nur sein »Weltdeutschtum« gegen »die furchtbare nationale Gesamtschuld« antreten, sondern wird so wunderbar mokant, dass nie mehr etwas gegen die ewige Mannsche Ironie gesagt sei: »Ich muss glauben, dass ein hochstehendes 70-Millionen-Volk unter Umständen nicht anders kann, als sechs Jahre lang ein Regime blutiger Kaffern zu ertragen, das ihm in tiefster Seele zuwider ist, ihm dann in einen Krieg zu folgen, den es als baren Wahnsinn erkennt, und weitere sechs Jahre sein Äußerstes, all seine Erfindungsgabe, Tapferkeit, Intelligenz, Gehorsamsliebe, militärische Tüchtigkeit, kurz, seine ganze Kraft daran setzen muss, diesem Regime zum Siege und damit zu ewiger Fortdauer zu verhelfen. Rührend ist es, wie Mann die »Vereinigung« von östlichem Sozialismus und westlicher Demokratie weniger beschwört denn für unausweichlich hält; verblüffend ist seine astrein linke Einschätzung, in Großdeutschland blühten »Plutokraten und Trustherren«, und »vom deutschen und internationalen Finanzkapital sind Hitler und seine Bande ausgehalten und in die Macht geschoben worden«; und beklemmend, wie wenig sich an dem Dilemma geändert hat, dem sich schon die angelsächsischen Bomberpiloten gegenübersahen: »Es ist die Teufelei des Bösen, dass es demjenigen, der guten Willens ist, nur die Wahl lässt, schuldig zu werden, indem er sich ihm unterwirft, oder schuldig dadurch, dass er ihm widersteht.« Und der Widerstand, das ist der Geist, wie er hier ins wache, zornige Wort fährt, das allein den Nazi-»Teufelsdreck« und »die abstoßendste Figur (…), auf die je das Licht der Geschichte fiel« nicht aus der Welt geschafft hätte; aber auch um seiner Willen ist es Gott sei Dank geschehen.
Author: Stefan Gärtner
Published at: 2025-04-29 17:39:52
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